Herzscheiße

Ein Früher-war-alles-besser-Text über Facebook. Sorry. Außerdem spekuliere ich über psychologische Sachverhalte, die meines Wissens noch niemand getestet hat. Auch nicht die feine Art. Lieben Dank an Hannah für die Anregung.

Vor ein paar Jahren ist in der deutschen Sprache das “Liken” aufgetaucht, denn anscheinend bestand Bedarf dafür. Das sperrige “Gefällt mir” hat sich einfach nicht durchgesetzt und lässt sich auch nicht so einfach in ein Substantiv umbauen wie das Like, über das man wie eine Währung sprechen kann, wenn man seine Grindcoreband bei Bookingagenturen anpreist. Aber auch die Tätigkeit etwas zu liken ist vielschichtiger und kontextabhängiger als einfach sein Gefallen auszudrücken: Es kann bedeuten “Ich mag dich”, “Schaut euch das einmal an”, “Ich stimme dir zu”, oder auch “Ich fühle mit dir, furchtbar, was du da schreibst”. Ich selbst scrolle mich an besonders denkwürdigen Tagen auch mal durch die Kommentarspalten von “FOCUS Online”, um den einsamen Wölfen, die gegen den ganzen Irrsinn dort anschreiben, per Like auf die Schulter zu klopfen.

Es dürfte etwa Tag 1 nach dem Facebook-Launch gewesen sein, als der erste User irgendetwas las, was ihn aufregte, und kommentierte: “Where’s the dislike button >:O”

So nahm das ganze Elend seinen Lauf.
Und keine Angst, das wird jetzt nicht der hundertelfzigste Beitrag darüber, wie Facebook und andere soziale Medien das Meinungsspektrum einschränken, dem wir ausgesetzt sind, und Konformität fördern. Es geht mir viel grundsätzlicher um eine Einstellung, die entsteht, wenn ein Service- und Spaßunternehmen zum Informationsmedium gemacht wird.

Wäre Facebook ein Supermarkt, wäre der Like-Button die “We value your opinion”-Kiste neben den Recyclingtonnen am Ausgang, nur besser: Denn was mir gefällt und was nicht, spielt hier wirklich eine Rolle. Facebook macht mir ständig klar, dass es gerne wissen möchte, ob ich mit meiner Experience zufrieden bin, und passt sie meinen Bedürfnissen und Vorlieben an, denn nur glückliche Kunden sind gute Kunden.

Wir können je nach Scrollgeschwindigkeit wahrscheinlich etwa 20 mal pro Minute unseren Likedaumen heben, sodass sich irgendwann mehrere gefährliche Gedanken einschleichen:
1.) Meine Meinung, zu was auch immer, ist jederzeit gefragt und wichtig.
2.) “Gefällt mir” und “Gefällt mir nicht” sind relevante Kategorien, in die ich Erlebnisse in meinem Leben einordnen sollte.
3.) Ich habe ein Recht darauf, dass mir das, was ich sehe, gefällt.

Diese Ideen sind schon bescheuert genug, wenn es um die “Freundin springt mit ausgestreckten Armen am Strand”-Fotos geht, aber bei Nachrichten und Debattenbeiträgen wird diese Einstellung irrwitzig. Eine Kundenmentalität, bei der mein Gefühl und Gefallen die entscheidenden Kriterien sind, kann ich im Restaurant und im Supermarkt an den Tag legen. In allen anderen Situationen ist das einfach kindisch. Ein mündiger Mensch zu sein, bedeutet eben auch zu verstehen, dass es nicht das Wichtigste ist, ob mir etwas gefällt oder nicht, oder wie sich etwas für mich anfühlt.

Das erste Symptom dieser Egomanie ist dann die Forderung nach dem “Dislike”-Button. Wir wollen nicht nur unsere Empörung/Trauer/Wut ausdrücken, sondern wir können uns nicht einmal eine Minute für einen Kommentar nehmen, denn einerseits wird unsere Meinung ja noch unter 122 anderen Posts benötigt und andererseits müsste man in Worte fassen, wie man neben einem Bauchgefühl eigentlich zu etwas steht. Unzumutbar.

Auch die Flut von unqualifizierten Kommentaren unter den oben genannten FOCUS- und anderen Posts lässt sich in meinen Augen teilweise auf diese Mentalität zurückführen. Viele Reaktionen lesen sich wie Selbstgespräche über das, was gerade (teilweise) gelesen wurde, plus irgendwas mit Emotionen.

Und dann kamen die Smilies.

via biru.soup.io

Beim Liken ist teilweise noch eine Abwägung nötig: Ist ein Like eine angemessene Reaktion auf einen Nachruf? Möchte ich die Sichtbarkeit dieses Beitrags erhöhen? Sofern ich nicht mehr oder weniger genau “Das gefällt mir” sagen will, gibt es eine inhaltliche Distanz zwischen dem Gefühl und der Reaktion, und kontextabhängig entscheide ich, ob das Like passt oder nicht.

Die Grinseköpfe machen den Facebookbesuch jetzt noch ein wenig egozentrischer, als der Dislike-Button es gekonnt hätte (so glücklich ich auch bin, dass es diesen Button nicht gibt). Die Leute sind anscheinend nicht nur daran interessiert, was mir gefällt, nein: Sie wollen es ganz genau wissen. Input, Reaktion, nächster. Meine Meinung zählt, und der Kunde ist König. Genau aus dieser Haltung heraus wird dann wohl die nächste Welle von Forderungen entstehen: “Where’s the I don’t care button, dude :|”

Offenlegung: Der Autor benutzt Facebook und freut sich, wenn unter einem seiner Beiträge jemand auf das Herzchen geklickt hat. Er selbst hat auch schon einmal auf das Herzchen geklickt und das war eigentlich ganz schön, bei Babyfotos und so.