Geister

Über dem Eingang der Neuen Universität, dem schönsten Unigebäude in Heidelberg, thront die Pallas Athene von Karl Albiker und schaut auf die Besuchenden wohlwollend, aber auch einigermaßen unbeeindruckt herab.

Bild der Athene-Statue über der Neuen Universität Heidelberg
By Immanuel Giel (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons
Letzte Woche fragten mich zwei chinesische Touristen, was die Inschrift übersetzt bedeute, unter der man da hindurchläuft:

DEM LEBENDIGEN GEIST

Nicht so einfach zu beantworten, weil das Wort “lebendig” so wahnsinnig vielschichtig ist und jede seiner Bedeutungen so wundervoll und passend ist und mein Englisch nicht reicht um all diese Facetten darzustellen und ich diese Inschrift liebe und ich hoffe Sie haben jetzt nicht meinetwegen ihren Bus verpasst wie sagt man eigentlich tschüss auf chinesisch?

Ein lebendiger Geist ist nicht einfach nur nicht tot, sondern lebhaft, voller Tatendrang, aufmerksam, neugierig und spannungsgeladen. Wo es lebendig ist, da wächst etwas, lernt laufen, fragt und streitet und baut und reißt ab. Saftige Wiesen, leuchtende Augen, die Nase im Wind und die Ohren im Sand. Hach!

Aber wie jetzt das Wort “Geist” übersetzen? “Mind”, also der Geist des Einzelnen? Sicherlich. “Spirit” im Sinne von etwas, von dem man beseelt sein kann, eine Art Energie, die einen ansteckt? Auch das. Das Kollektive Bewusstsein? Kennen die beiden vielleicht den deutschen Exportschlager “Zeitgeist”? Kennen sie nicht, aber danke, und wie geht es von hier weiter zum Schloss.

1931 bekam die Neue Uni diese Inschrift und 1945 ein zweites Mal. Dazwischen hatten die Nazis goldrichtig erkannt, dass mit einem lebendigen Geist kein faschistischer Staat zu machen ist, hingen die Athene ab und änderten die Widmung 1936 in ihr Gegenteil:

DEM DEUTSCHEN GEIST

Pfff. Ich stelle mir vor, wie ich versuche, das jemandem zu übersetzen. Der Deutsche Geist, was soll das sein? Eine sinnentleerte Aneinanderreihung von Wörtern, die sich nicht aufeinander beziehen können.

DEM FREUNDLICHEN STANDMIXER

Wenn etwas ein “Geist” ist, in welchem Sinne des Wortes auch immer, gibt es nichts daran, was deutsch sein könnte, und wenn etwas deutsch ist und das irgendetwas bedeuten soll, dann kann damit kein Geist gemeint sein. Bilder eines nörgelnden Gespensts drängen sich auf, das in einem Altglascontainer herumspukt und alle heimsucht, die um zehn nach sieben noch Flaschen einwerfen.

Gemeint ist natürlich ein kultureller Alleinherrschaftsanspruch einer politischen Kaste, die sich selbst zur Wächterin des “Deutschen” ernennt, und jeden Geist, egal ob kollektiv oder individuell, der ihm nicht entspricht, verbannt und vernichtet: Was nicht Deutsch ist, ist kein Geist, und was Deutsch ist, bestimmen wir.

Die Einrichtung eines “Heimatministeriums” ist begründet in der Idee eines “Deutschen Geistes”, den es zu bewahren gelte. Die Seehofers und Dobrindts und all die anderen Versager, die für diese Idee stehen, haben sich mittlerweile ganz DEM DEUTSCHEN GEIST verschrieben. Ihm wird nachgeeifert, zu ihm wird gebetet, und er duldet keine Götter neben sich, außer an Weihnachten und Ostern. Wenn Dobrindt die “konservative Revolution” fordert, meint er damit, das Deutsche™ zum wichtigsten Kriterium zu erklären, und die Deutungshoheit darüber wieder an sich zu reißen.

Die Diskussion, ob der Islam zu Deutschland gehöre, ist ein typisches Beispiel: Skandalös ist nicht erst die Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, sondern die Frage “Gehört der Islam zu Deutschland?”. Damit ist nicht gemeint “Spielt der Islam in der deutschen Mehrheitskultur eine Rolle?” (jein) oder “Gibt es muslimische Deutsche?” (natürlich). Bedeutung bekommt diese Frage erst durch den Deutschen Geist und einen Antidemokraten, der sich zum Richter darüber erklärt, ob “der Islam” dieses stolzen Gespensts würdig ist. Ist ein Standmixer freundlich oder nicht? Sagen Sie doch mal, Frau Merkel.

Der Deutsche Geist ist eine Kampfansage an den Lebendigen Geist, der Betonköpfen wie der CSU-Führung schon immer ein Dorn im Auge war. Wenn man sie lässt, werden sie ihn immer weiter aus dem konservativen Lager herausschimpfen, -mobben, -prügeln, wo ihn bis jetzt noch einige verteidigen. Sobald sie das geschafft haben, steht dann auch endlich einem Anschluss an die AfD nichts mehr im Wege. Und dann wird endlich wieder diese Emanze mit dem Helm vom Unieingang abgeschraubt.

Aufbruch ins Private

Wenn jemand vom “Rückzug ins Private” spricht, meint er/sie das meistens als Vorwurf. Dahinter steckt die Überzeugung, dass die Augen/Ohren zuzumachen und “La la la” zu schreien keine Antwort auf die drängenden Fragen unserer Zeit sei. Es gibt grob gesehen zwei Möglichkeiten, sich gegen diesen Vorwurf zu wehren: Man kann die Augen/Ohren schließen, “La la la” schreien und sein Leben lang nur noch Wiederholungen alter Bob-Ross-Folgen ansehen, oder den Nörgelbacken entgegnen, dass das Private vielleicht alles ist, was uns jetzt noch retten kann.

Beweisstück 1 von 1: Doggos. Ja, Hunde. Fünfzehn Jahre lang 1 dachte man, Katzen wären nahezu die genetisch determinierten Herrscher des Internets. Doch das Regime der kleinen, süßen Terroristen scheint ins Wanken zu geraten durch die treudoofen, vom Leben als Gesamtkonzept konstant überforderten Helden, die nichts als Liebe zu geben haben.

Quelle: Imgur.com

Bei Katzen ist es ein bisschen wie bei ABBA: Ich mag sie, aber ich verstehe es gut, wenn man nichts damit anfangen kann. Aber süße Hunde? In Zeiten, in denen wir allen Ernstes wieder diskutieren, welche Form der Planet hat, auf dem wir wandeln, wird es immer einen Konsens geben, von der DKP bis zur “Republik Freies Deutschland”: Süße Hunde sind besser, als wir Menschen es je verdienen könnten.

Man bekommt wohl keinen Edginess-Bambi für die Behauptung, dass wir uns als Spezies derzeit gegenseitig schlecht leiden können. Streit-“Gespräche” zu Facebookposts und Tweets beschleunigen von “[Kontroverse Meinung]” auf “Lass dich von IS-Kämpfern vergewaltigen, dreckige Nutte” in unter fünfzehn Minuten, unter Tweets des US-Präsidenten in einem ähnlichen Ton wie bei Werbung für Barbecuesauce. Nur unter Bildern von Good Boys und Girls herrscht Frieden und Einigkeit.

Wir werden – zum Glück – nicht so bald aufhören, uns zu streiten, und ich schätze eine gute verbale Prügelei mit der örtlichen AfD so sehr wie die meisten. Und trotzdem täte es gut, sich klar zu machen, dass diese dreckige Wichsfresse, die wieder ihre Meinung in unseren Feed scheißen musste, ein Mensch ist, der wahrscheinlich genauso dämlich aus der Wäsche guckt wie wir, wenn er einen kleinen Welpen gähnen sieht.

Plädoyers für mehr Nettigkeit und Flauschigkeit in der Welt werden von beiden Fronten eines Streits schnell niedergemacht als Rückgratlosigkeit oder implizite Zustimmung für die Anderen™. Aber wenn der letzte Flamewar des Tages ausgefochten ist, und man eh noch nicht schlafen kann wegen dieser einen Drecksau und ihren erbärmlich dummen Kommentaren, treffen wir uns doch wieder – unter anderen Pseudonymen – bei Freunden wie Barney, verdrücken uns ein paar Tränen der Freude und sind glücklich, dass wenigstens einer auf der Welt genau das bekommt, was er verdient:


  1. oder so 

Klassenclowns

Der Facebookaccount “AfD Heidelberg” teilt ein Bild gegen Christopher Lauer und gewährt damit einen Einblick in sein Welt- und Menschenbild.

Bevor ich mich gleich an einer Textinterpretation versuche, habe ich meinen Lesern (hallo Max!) etwas zu gestehen: Achtung, jetzt kommt sie, meine große Lebensbeichte, deren Löschung aus dem kollektiven Gedächtnis ich kurz vor meiner Vereidigung als EU-Digitalgedöns-Kommissar bei Google beantragen werde, also Luft angehalten und hingesetzt: Ich bin kein großer Fan von Christopher Lauer. Ich finde ihn nicht fürchterlich, einiges, was er tut, sogar sehr richtig, aber wählen tät ich ihn auch nicht. Na ja.

Christopher Lauer ist seit ein paar Wochen die Lieblingszielscheibe einiger AfD-Mitglieder und Sympathisanten, nachdem er umstrittenerweise eine Email bei Twitter veröffentlichte, die ein AfD-Anhänger ihm über dessen Dienstaccount geschickt hatte.

Abgesehen vom betroffenen Sparkassenmitarbeiter und Lauer selbst müsste das alles heute niemanden mehr interessieren, und trotzdem hielt es der Betreiber des Facebookaccounts “AfD Heidelberg” für eine gute Idee, dieses Bild hier weiter zu verbreiten:

Wenn man diesen kleinen Steckbrief mal mit dem “Selbstaussage-Ohr” hört, wie Schulz von Thun sagen würde, erfährt man wahnsinnig viel über das Welt- und Menschenbild derjenigen, die es teilen.

Strophe eins:

Einzelkind

Das erste, was dem Verfasser dieses kleinen Lebenslaufs zu einem umstrittenen Politiker einfällt, ist dass er keine Geschwister hat. Mit nur einem Wort will man hier ein Charakterprofil vorzeichnen, und verrät gleichzeitig so wahnsinnig viel über sich selbst: Da ist jemand neidisch auf die ganzen Einzelkinder, die – da war man sich auf dem Schulhof einig – alles in den Arsch geschoben bekommen und die volle Aufmerksamkeit ihrer Eltern… Moment, was sagen Sie da?

 

Mutter (Beamtin) alleinerziehend

Das ist ja widerlich. Beamtin? Alleinerziehend? Und ein Sohn von so einer Hure, die für die Deutschland GmbH die Angestellten Bürger gängelt, will allen Ernstes mal mitreden in diesem Land? Ja wo kommen wir denn da hin, wenn jetzt jedes dahergelaufene Scheidungskind meint, seine Meinung sei was wert.

Politiker kommen in Deutschland immer noch aus gutem Hause, soll heißen: Mutti ist zu Hause, Papa schafft in der (möglichst eigenen) Firma.
Weiter im Text:

 

Klassendepp (seine Worte: “Ich war ein einsames, kein glückliches Schulkind”)

Ein Junge, der früher Probleme in der Schule hatte, offensichtlich auch dabei, Freunde zu finden. Das weist vielleicht auch auf Außenseitertum und Hänseleien durch andere Schüler hin.

Oder wie man in der AfD Heidelberg sagen würde:

Ein Bild von Nelson, der Haa haa ruft
Quelle

KLASSENDEPP! Ist ja klar: Ein Politiker nimmt den Spastis mit den anderen zusammen das Pausenbrot weg, nicht anders herum! Führungsqualität!

 

Studium (abgebrochen)

Hier lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen. Da steht nicht “Studium abgebrochen”, auch wenn einige AfDler der Meinung sind, dass nur Akademiker Politiker sein sollten.

Stattdessen bedient das “Studium” vor der Klammer alle, die eine Abneigung gegen Studierte generell haben, und erst gemeinsam mit der Klammer dann die “Keine Redezeit ohne Promotion”-Nische. Meisterhaft.

 

Fällt seiner alten Partei (Piraten) in den Rücken

Damit ist wohl gemeint, dass es verwerflich sei, aus einer Partei auszutreten, in eine neue einzutreten, und erstere öffentlich zu kritisieren.

Äh, ok.

 

2012 Preisverleihung “Troll des Jahres”

Stimmt. War aber nett gemeint. Egal.

 

Prostituiert sich für Axel-Springer (sic!)

Ja, so läuft das bei der AfD. Fleißig Welt-Online-Artikel teilen, in denen Broder mal wieder alles mit Kotze überzieht, was schön ist in der Welt, aber wer für Springer arbeitet, prostituiert sich. (Finde ich ja auch, aber die Inkonsistenz ist schon bemerkenswert.)



Wir fassen also zusammen:

  • Wer Politiker sein will, muss aus einer normalen™ Familie mit normalen Geschwistern kommen und nicht aus einem degenerierten Erfüllungsgehilfen Volksverräter- Beamtenhaushalt.
  • Wer einsam ist und wem die Schule keinen Spaß macht, der ist ein Vollidiot und darf nicht mit den coolen Kids von der AfD Heidelberg spielen. Wer Klassensprecher werden will, muss den Losern auch mal die Unterhose hochziehen können.
  • Überhaupt ist es für den Wert eines Menschen und seiner Meinung das Wichtigste, in den richtigen Clubs zu sein. Die richtige Familie, der richtige Freundeskreis, die richtige Partei. Denen gegenüber hat man loyal zu sein, was auch kommen mag. Wer nicht zu seiner Gruppe steht, ist ein Verräter, und wer keiner Gruppe angehört, ist zu verachten. Sieben der neun “Kritikpunkte” an Lauer lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Der ist keiner von uns.

 

Wo bekommt man eigentlich so eine Social-Media-Blase, von der immer alle schwärmen?

Offenlegung: Ich engagiere mich für den Asylarbeitskreis Heidelberg, den Matthias Niebel, Heidelberger Gemeinderat der AfD, schon öfter öffentlich angegriffen hat.

Erstaunliche Menschen zum Staunen (1): Der Bon-Jovi-Mann

Ich schäme mich nicht 1, das zuzugeben: Manchmal packt auch mich der Drang, etwa als Akt betrunkener Verbrüderung, inbrünstig Bon Jovis Livin’ on a Prayer 2 mitzukreischen. Heute traf ich im Bus das erste Mal jemanden, der diesen Song still für sich auf dem MP3-Player hörte, allem Anschein nach unnarkotisiert und auf dem Weg zur Arbeit. Nicht einmal seinen Head bangte er dazu. Er wischte einfach seelenruhig durch seine Facebook-Timeline und likete Gruppenselfies und Ottervideos wie alle anderen braven Fahrgäste auch, als würde sich da in seinen Ohren nicht gerade die gleichzeitig dramatischste und mittelmäßigste Rückung der Poprockgeschichte anbahnen.

Wie muss ich mir das Leben eines Menschen vorstellen, der ohne eine Gefühlsregung zu zeigen Livin’ on a Prayer in einem vollen Bus hört? Ist der Song für ihn der tägliche Soundtrack zu einem “guten Start in den Tag”, wie ihn einem diese Formatradioarschlöcher immer wünschen?

Vielleicht fuhr aber auch gar nicht zur Arbeit, sondern nach der Nachtschicht heim, die Hände kalt und steif, die Beine schwer und müde, schloss kurz zufrieden die Augen und dachte bei sich: “Meine Schichten als Straßenlaternenwiederantreter mögen oft hart und einsam sein, aber spätestens wenn sich Richie Samboras Talkboxgitarre an den eisenharten Rhythmus schmiegt, sind alle meine Sorgen vergessen.”

Es ist mir unmöglich, beim Hören von Livin’ on a Prayer Freude zu empfinden, solang ich dabei niemandem ins Gesicht schreien kann. Wer Bon Jovis Musik der Achtziger in aller Stille genießen kann, muss jemand sein, der sich selbst genug ist und nicht in den Pupillen irgendeines Gegenübers suchen muss, um zu wissen, wo er im Leben steht. Die Gewissheit, dass einer dieser bemerkenswerten Menschen nachts auf Heidelbergs Randbezirke aufpasst, lässt mich ruhig schlafen und süß träumen.


  1. Naja, eigentlich doch.  

  2. Obacht: Link führt zum Promovideo des Bon-Jovi-Hits Livin’ on a Prayer

Thanks, Obama!

Obama geht und der andere kommt. Ein bisschen Nostalgie, um mich selbst aufzumuntern.

Am 4. November 2008 saß ich mit meinen Nachbarn und Vermietern im Keller unseres Hauses in Brooklyn, New York, und verfolgte die Präsidentschaftswahlen.

Ein paar Tage vorher ging ich in irgendein riesiges Kino und sah mir “W” an, ein lustig gemeintes Portrait über George W. Bush. Neben mir saßen Alex, mein Mitbewohner, der von seinen Freunden immer “Peru” genannt wurde und aus Venezuela kam, und mein Nachbar Alonso, ein ecuadorianischer Modedesigner, dessen Geschichten, er habe in erfolgreicheren Zeiten Kleider für Björk entworfen und mit Catherine Deneuve auf Dinnerpartys geflirtet, erstaunlicherweise jeder Überprüfung standhielten.

Ich hatte noch andere Freunde gefragt, ob sie mitkommen wollten, die winkten aber dankend ab und meinten, so lange Dubbya noch Präsident sei und es die Möglichkeit gebe, dass es mit McCain und Palin (!) so weitergehe, könnten sie sich das nicht antun: “Well, the joke’s on us, isn’t it? The guy is our president.”

Für Alonso war Obama nicht weniger als der Messias: Mit ihm würden sich innerhalb weniger Monate die Probleme der USA und der Welt in Luft auflösen. Entsprechend hing alles von dieser Wahl ab. Wenn Alonso bei unseren fast täglichen Fernsehabenden die zweite Literflasche Rotwein aufmachte, redete er bereits in einer Vehemenz auf uns ein, als wäre irgendjemand von uns wahlberechtigt gewesen oder hätte im Traum daran gedacht jemand anderen zu wählen. Neben Obama gab es für ihn nur einen weiteren brauchbaren Politiker auf der Welt: Hugo Chavez. Wenn das Gespräch auf ihn kam, ging Peru ins Bett.

Wir saßen also bei unseren Vermietern vor dem Fernseher. Sie wohnten im Keller des Hauses, mit Lehmboden und ohne Tageslicht. Das Haus war alles, was sie besaßen, jeder Penny ihres Vermögens steckte darin. Sie hatten beide Zeiten erlebt, in denen “Leute wie sie” in den USA nicht gleichberechtigt wählen durften. Ihr Sohn war ein ehrfurchteinflößender, schwarzer Hühne in baggy Basketballkleidung, hatte mal in Deutschland bei einer Reederei gearbeitet und machte sich einen Spaß daraus, mir nachts mit seinem Pitbull auf der Straße aufzulauern und so zu tun, als wolle er mich überfallen.

Als die Nachricht kam, dass Obama genügend Electoral Votes bekommen würde, brach in unserem Viertel die Hölle los. Es war Weihnachten, Silvester und der Unabhängigkeitstag in einem, auch angesichts der Feiertraditionen, derer man sich bediente. Gemeinsam mit Marie und Carlos, Alonsos Mitbewohnern, die ihr professionelles Glück im Produzieren von Videos suchten, sprangen wir samt Kamera in die U-Bahn und fuhren nach Manhattan.

Schon auf der Fahrt interviewte Alonso unsere Mitfahrer mit emotional aufgeladenen Suggestivfragen und Carlos hielt drauf. Wenn Alonso die Interviewten mal zu Wort kommen ließ, verzichtete niemand auf die magischen Worte: “hope” und “change”. Das waren damals keine Leerphrasen, sondern nach acht Jahren Bush aufrichtige Wünsche.

Wir schafften es gerade rechtzeitig zu Obamas victory speech ins East Village.

Nach dem pflichtgemäßen, aber offensichtlich aufrichtigen “Thank you, God bless you, and may God bless the United States of America” drehte der Barkeeper den Jackson-Five-Song “I Want You Back” mit seiner euphorisch ausufernden Bassline auf und wir lagen uns mit Fremden in den Armen.

Eine WG am St. Mark’s Place hatte gigantische Boxen auf die Feuertreppen vor ihrer Wohnung gestellt und aufgedreht (natürlich verboten), mehrere hundert Menschen versammelten sich davor auf der Straße (verboten), tranken Alkohol (sowas von verboten) und wir stimmten gemeinsam zwischen Rihanna- und Justice-Songs The Star-Spangled Banner an. Die Polizei sperrte die Straße einfach für Autos ab und schaute nicht so genau hin, was in den Flaschen war.

Alonso hatte wohl noch in der Nacht einen Zusammenbruch und war eine Woche lang krank. Noch in meiner Wohnung hörte ich ihn schnarchen. Zwei Monate Dauerstress und die wohl wildeste Feiernacht seines Lebens hatten ihn niedergestreckt, er war ja auch keine 40 mehr.

Ich will nicht zu viel verraten, aber: Die Probleme der Welt lösten sich nicht innerhalb von wenigen Monaten. Natürlich musste nach so einer Feier der Kater kommen. Natürlich war Obama weder Christus noch King noch Chavez. In seiner Amtszeit war er mit beispiellosen Problemen konfrontiert und traf manche Entscheidungen, die mich und viele andere empörten.

Wer von Obama im Großen und Ganzen enttäuscht ist, dem unterstelle ich trotzdem entweder irre Ansprüche, mangelnde Kenntnis darüber, was ein Einzelner bewirken kann, oder schlichtweg Unkenntnis über seine Erfolge. Die USA sind heute ein Land, das sich (bis jetzt) zu Maßnahmen gegen den Klimawandel bekennt, in dem man (vorerst) nicht unehrenhaft aus dem Militär entlassen wird, wenn man sich zu seiner Sexualität bekennt, in dem Menschen (noch) eine Chance auf Gesundheitsversorgung haben, in dem Homosexuelle heiraten können (looking at you, Deutschland!), und in dem ein schwarzer Mann, der vier Jahre lang von der Opposition verleumdet, schamlos beleidigt und sabotiert wurde, ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt wird. Nicht obwohl, sondern weil er sich nie auf dieses Niveau herabgelassen hat.

Wenn ich Obama heute sehe und mir vorstelle, dass eine sexistische, rassistische und grundkorrupte Mandarine seinen Platz einnehmen wird, dann denke ich wieder an den 4. November 2008 und die Monate davor. An die Depression der New Yorker, die acht Jahre unter Bush geächzt hatten, und das ekstatische Gefühl der Erleichterung, als die Bush-Regierung endlich am Ende war. Das Gefühl, dass es auch anders geht.

Die USA haben acht Jahre Bush überlebt. Und ich werde im November 2020 im East Village sitzen.

Schwarz-Weiß-Denken

Gäbe es eine Diskussion um das Racial Profiling der Kölner Polizei, ja, dann gäbe es einiges dazu zu sagen. Leider kann man schlecht mit sich selbst diskutieren, also bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als zu der Diskussion beizutragen, die jetzt tatsächlich stattfindet, nämlich über die Frage, ob es eine kontroverse Diskussion geben darf. Die Diskussionsdiskussion über die Kompetenzkompetenz.

Simone Peters wurde und wird massiv angegriffen, teilweise von der BILD oder anderen Zeitungen, teilweise von Privatpersonen und (weniger drastisch) auch von ihren ParteikollegInnen, weil sie in der “Rheinischen Post” zitiert wird:

Allerdings stellt sich die Frage nach der Verhältnis- und Rechtmäßigkeit, wenn insgesamt knapp 1000 Personen allein aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt wurden.

Stefan Niggemeier hat im Übermedien-Blog (s.o.) alles wichtige dazu geschrieben, warum es diese Diskussion geben muss und wie irre es ist, einer Politikerin vorzuwerfen, sie gefährde den Staat dadurch, dass sie die Rechtmäßigkeit eines Polizeieinsatzes hinterfrage.

Bevor ich jetzt aber anfange, mich selbst noch einmal an einigen Prämissen der Diskussion (über die Diskussion) abzuarbeiten, möchte ich erst einmal einige meiner eigenen offenlegen:

  • Ich gehe davon aus, dass die Polizei am Kölner Hauptbahnhof Menschen nach Hautfarbe sortiert hat und nicht allein nach Kriterien wie Vorstrafen oder sonsitger Aktenkundigkeit. Das bestätigen zumindest genügend Augenzeugenberichte von Journalisten und von Betroffenen.
  • Wenn ich etwas rassistisch nenne, dann meine ich damit nicht, dass jemand am liebsten alle Türken, Schwarze… am nächsten Baum aufhängen würde, sondern dann rede ich erst einmal von einer Methode des Denkens, nämlich dass die Hautfarbe oder Herkunft eines Menschen eine relevante Kategorie ist, um ihn einzuschätzen und zu bewerten.
    Unterpunkt 1: Das können Vorhersagen sein, wie zum Beispiel, dass Menschen aus Nordafrika häufiger sexuell übergriffig werden.
    Unterpunkt 2: Das betrifft aber auch andere Bewertungen von “Wir im Gegensatz zu denen”. Auf das aktuelle Beispiel bezogen wäre das zum Beispiel die Einstellung, dass eine Gruppe von Menschen eine Behandlung akzeptieren soll, die ich mir selbst nicht gefallen lassen würde. Die müssen warten, damit wir in Ruhe feiern können. Die, die festgesetzt werden, und deren Recht auf Bewegungsfreiheit spielen in der Rechnung keine oder eine vernachlässigbare Rolle, weil sie nicht zu uns gehören.

Ok. Jetzt aber:

Das erste Argument derer, die sich gegen Simone Peters und andere stellen, ist der Vorwurf der Unverschämtheit. Unter öffentlichem Druck stehende Polizisten frieren sich an Silvester den Arsch ab, machen “einen tollen Job” und müssen sich danach noch Rassisten nennen lassen. Überhaupt handele es sich nicht um ein rassistisches Vorgehen, sondern man habe Konsequenzen aus den Verbrechen des letzten Jahres gezogen, was hätte man denn sonst tun sollen.

Zum Wesen von Rassismus gehört es aber nicht, keine Erfahrungen mit einzubeziehen, sondern welche Erfahrungen man wie interpretiert. Racial Profiling (RP) ist per Definition rassistisch: Wenn die Polizei drei junge Männer sucht, die in Berlin eine Frau die Treppe hinunter traten, und sich dabei auf Männer mit dunklen Haaren beschränkt, fällt das nicht unter RP, weil die Täter auf dem Beweisvideo offensichtlich dunkle Haare haben und es unsinnig wäre, blonde Männer oder Frauen ebenfalls zu verdächtigen. RP beruht per Definition auf Vorurteilen gegen eine (pseudo-) ethnische Gruppe, wenn zum Beispiel in Köln Männer mit dem berüchtigten “südländischen Aussehen” durch einen anderen Ausgang gehen mussten als weiße (bzw. gar nicht gehen durften). Von diesen Männern gehe eine besondere Gefahr aus, so die Hypothese, und das rechtfertige das Vorgehen. Entsprechend finde ich beim besten Willen keinen Weg, das Vorgehen der Kölner Polizei nicht als RP zu bezeichnen. Es ist ein Bilderbuchbeispiel dafür.

Die rassistische oder nicht rassistische Einstellung einzelner Polizisten tut überhaupt nichts zur Sache (und wurde von Peters auch gar nicht thematisiert): RP wurde durchgeführt und verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil es von rassistischen Grundannahmen ausgeht.

Um dem Unverschämtheitsvorwurf zu entgehen, muss jeder, der die leiseste Kritik an dem Polizeieinsatz anbringen will, zunächst einmal drei, vier Sätze des Lobes für unsere Boys und Girls in blau ableiern. Wenn sich das durchsetzt, haben wir bald eine Debattenkultur wie die USA beim Thema Militär, wo jedem Kriegsgegner ein lack of respect für die ganzen heroes vorgeworfen wird, die jeden Tag für unsere Freiheit kämpfen. Peters wurde bereits vorgeworfen, sie wolle insgeheim die Polizei arbeitsunfähig machen.

Das zweite, vehementer vorgebrachte Argument lautet, selbst wenn es RP war, habe es gut funktioniert, und wer sich bei einer so positiven Bilanz noch beschwere, der habe offensichtlich zu viel Zeit/keine Freunde/ Probleme mit einem funktionierenden Rechtsstaat.

Das ist auf so vielen Ebenen problematisch, dass ich mich nur auf die m.M.n. wichtigsten beschränken kann:

Die erste Ebene ist rein pragmatisch und geht der Einfachheit halber davon aus, dass das Ergebnis des Abends positiv ist: Sehr wenige Übergriffe, wahrscheinlich sogar weniger als in den Silvesternächten vor 2015. Wenn ich das akzeptiere, und mir andere Ergebnisse egal sind, lässt sich immer noch nicht feststellen, ob das Racial Profiling notwendig oder überhaupt erfolgreich war. Das lässt sich im Einzelfall schlichtweg nicht klären und die (relativ dünne) Empirie besagt, dass Racial Profiling in der Regel nicht effektiv ist.

Vielleicht hat es die starke Polizeipräsenz allein schon bewirkt, dass potentielle Straftäter die Füße still hielten. Vielleicht wäre nicht einmal die übermäßige Präsenz nötig gewesen. Wir können das im Nachhinein nicht beurteilen. Und das ist nicht nur ein akademisches Elfenbeinturmargument: Die Geschichte ist voll mit Beispielen von scheinbar wirksamen Interventionen, deren Erfolg allein dadurch zu erklären ist, dass man nie etwas anderes probiert hatte.

Wer das RP kritisiert, muss sich bestenfalls anhören, er oder sie lebe nicht in der echten Welt da draußen, in der manchmal Maßnahmen notwendig sind, die nicht in sein oder ihr Hippieweltbild passen, und schlechtestenfalls vorwerfen lassen, er oder sie hätte es wohl lieber gesehen, dass wieder hunderte Frauen belästigt/angegriffen/vergewaltigt würden. Allein ob das RP irgendetwas gebracht hat, kann niemand beurteilen, es sei denn wir diskutieren darüber anhand von indirekten Daten, die die Polizei zur Verfügung stellen müsste.

(Diese komplexe und schwierige Frage wäre mal eine schöne Aufgabe für die staatliche Polizeiaufsichtsbehörde, deren Arbeitsfähigkeit Jahr für Jahr dadurch empfindlich eingeschränkt wird, dass so eine Behörde Deutschland nicht existiert.)

Selbst wenn sich dann herausstellen sollte, dass das RP tatsächlich eine Ursache für weniger Übergriffe war, bleibt immer noch die Frage bestehen, ob ein weniger problematisches Verhalten nicht eventuell dieselben Effekte gehabt hätte.

Selbst wenn sich herausstellen sollte (was bis jetzt nicht geschehen ist), dass das RP effektiv einige potentielle Straftäter vom Hauptbahnhof bzw. von der Domplatte abgehalten hat, ist die Frage der Verhältnismäßigkeit nicht geklärt.

Wenn man denkt, nur durch RP sei die Aufgabe der Polizei zu bewältigen gewesen, kann man zum Schluss kommen, es sei verhältnismäßig gewesen. Die Frage nach Verhältnismäßigkeit abzublocken kann zwei Dinge bedeuten:
Entweder es gab in der Silvesternacht 2016 genau eine wichtige Aufgabe für die Kölner Polizei, nämlich sexuelle Übergriffe am Hauptbahnhof und auf der Domplatte zu verhindern und die Rechte aller anderen waren dem unterzuordnen, oder
es gab in der Silvesternacht 2016 genau eine wichtige Aufgabe für die Kölner Polizei, nämlich sexuelle Übergriffe auf deutsche Frauen am Hauptbahnhof und auf der Domplatte durch Nordafrikaner zu verhindern und die Rechte aller anderen Männer, die komisch aussehen, waren dem unterzuordnen.

Ich fürchte, dass Möglichkeit Nr. 2 näher an der Wahrheit liegt, denn normalerweise sind wir schnell mit Verhältnismäßigkeitsabwägungen bei der Hand. Was würde wohl passieren, wenn kurz vor Karneval beschlossen würde, weil der Rosenmontagsumzug eine öffentliche Versammlung sei, gelte ab sofort ein strenges Vermummungsverbot, um Sexualstraftäter besser identifizieren zu können? Hieße es dann immer noch “Klar, für unsere Frauen alles, was nötig ist”, oder würde man dann langsam mal fragen “kriegen wir das nicht anders hin”?

Aber Karnevalisten, das sind im allgemeinen rechtschaffene Leute wie du und ich, die an einem traditionellen Feiertag ihren Spaß haben und durch die Stadt ziehen wollen. Warum sollen die unter der Handvoll erheblichen Menge Sexualstraftätern leiden? Das mit braunen Deutschen und Ausländern zu vergleichen, die an einem traditionellen Feiertag ihren Spaß haben und durch die Stadt ziehen wollen, ist natürlich wieder typisch linksgrüne Realitätsklitterung.

Im Begriff der Verhältnismäßigkeit steckt schon, dass es darum geht, zwei oder mehr Güter gegeneinander abzuwägen. Man hat quasi einen Zähler, das ist in diesem Fall die (auch gefühlte) Sicherheit von Frauen während der Silvesternacht, und einen Nenner, nämlich die Einschränkung von Freiheitsrechten und in diesem Fall die unwürdige Behandlung von Männern, die nicht aussehen, als seien sie in siebter Generation deutsch. Das Wert dieses Bruchs darf nicht zu klein ausfallen.

Am allermeisten schockiert mich an vielen Spielarten der “Keine Diskussion”-Haltung, dass der Nenner hier gar nicht mehr vorkommt. Es spielt keine Rolle, was die Leute an diesem Abend erdulden mussten. Das buchstäbliche Einteilen von Menschen nach Hautfarbe ist kein Skandal. Es ist nicht einmal ein Ärgernis. Jeder, der die Verhältnismäßigkeit anzweifelt, das folgt logisch aus dieser Haltung, interessiert sich nicht für die Sicherheit von Frauen, also unterschätzt den Zähler, denn der Nenner kann ja nun wirklich nicht das Problem sein.

Auch die Rechtmäßigkeit eines Polizeieinsatzes zu diskutieren, bei dem offenbar Menschen nach äußerlichen Merkmalen in verschiedene Gefahrenkategorien eingestuft wurden, kann nicht mit dem Endergebnis “Es hat ja funktioniert” abgetan werden. Es gibt viele Dinge, die evtl. wünschenswerte Effekte haben, die trotzdem offensichtlich unrechtmäßig oder unmoralisch und entsprechend zu verurteilen sind.

Hätte die Kölner Polizei an dem Abend jeden nach Nasenformpräferenz verprügeln dürfen? Hätte die Kölner Polizei die Leute im Kessel für zwei Wochen in U-Haft nehmen dürfen? Die Antwort darauf kann nicht lauten “Naja, solange niemand auf der Domplatte sexuell genötigt wurde, wird’s schon passen. Unsere Polizisten sind doch gute Jungs”. Irgendwo verläuft die Grenze dessen, was die Polizei tun darf. Wer, wenn nicht wir, soll diskutieren, wo sie genau verläuft?

Angepasst

Ich: Hallo.
Sie (leicht schnaufend, aus dem Hinterzimmer kommend, osteuropäischer Akzent): Hallo, guten Tag.
Ich habe zwei Hemden gekauft, die sind mir aber hinten zu weit. Können Sie die umnähen?

Zeigen Sie mal her… Uff, so ein schmaler Kragen? Wer macht denn sowas?
Ich mag schmale Kragen ja ganz gerne.

Ja, die Mode macht ja alles Mögliche. Von wann sind die denn?
Die habe ich ganz neu.

Sowas machen Leute gerade? Naja, manche mögen das ja. Manche wollen auch gar keinen Kragen, so indisch.
Das finde ich auch schön.
Ja, das sieht toll aus und man muss nicht so viel bügeln. Ziehen Sie das erste Hemd mal an.

Oh Gott, was sind denn das für kurze Ärmel? Das ist jetzt modern? Das kann ich Ihnen hinten abnähen, wenn Sie möchten. Vorne brauchen Sie aber die Oberweite. Vom Sport, oder?
Ein bisschen Sport und viel Essen.
Haha, na gut, dann mal das andere. Das kann ich Ihnen auch so abnähen.
Super.
Das ist aber ein toller Stoff. Ich kann kritisieren, aber ich kann auch loben! Wenn Sie solche Hemden noch in anderen Farben kaufen können, sollten Sie das machen, das ist mein Tipp an Sie!
Leider nein, das gab es nur in blau.
In braun oder beige würde das aber auch gut aussehen. Was hat das denn gekostet?
War gar nicht so billig, 40 Euro, glaube ich.
Um Himmels Willen, da müssen Sie beim nächsten Mal im Schlussverkauf gucken!
Das war sogar schon runtergesetzt …
Zeigen Sie nochmal … Achja, bei denen zahlt man immer die Marke mit.
Das ist eine Marke, die ihren Nähern mehr Geld bezahlt, dafür ist es dann etwas teurer.
(Das Hemd musternd) Mhm …
Außerdem ist das aus Biobaumwolle und so.
Jaja, Bio. Manchmal quatschen die Leute aber auch einfach zu viel.
Haha, das mag stimmen.
Zum Beispiel das Auto da draußen. Ist auch von einem Biorestaurant, aber parkt direkt vor unserer Tür. Soll der doch da parken, wo Bio ist. Am Freitag können Sie dann die Hemden abholen.
Ich freu mich drauf.

Vorbestellen!

Ich durfte die letzten Tage in der Orthopädie in Schlierbach verbringen. Ein Review.

Aus Gründen, die mir mein Rücken bis heute verschweigt, machte dieser am letzten Samstag ein Riesentheater und forderte vehement mit Blaulicht (<– arschcool) in die Notaufnahme gefahren zu werden. Ich bin aus Sicherheitsgründen lieber mitgefahren. Nachdem kein Schmerzmittel mich auf die Beine bringen konnte, schob man mich einfach auf den Flur, bis sich einer aus der Orthopädie erbarmte und mich mit hoch nahm.

Personal: Alle Mitarbeiter waren ausgesprochen freundlich und zuvorkommend. In den zweieinhalb Tagen, die ich wie ein Käfer auf dem Rücken im nur manuell verstellbaren Bett verbrachte, war sich von der Reinigungskraft bis zur Assistenzärztin niemand zu schade, mal kurz mein Bett wieder hoch, nein, wieder ein bisschen runter, nee, ein bisschen höher, danke, und nach einer Viertelstunde wieder runter zu stellen.

Zwei Dinge lieben Ärzte und Therapeuten in der Orthopädie Heidelberg: Schmerzmittel und Mobilitätstests. Kein Arzt oder Therapeut ließ es sich nehmen, den lustigen Zehenspitzen-Hacken-drücken-Sie-mal-ziehen-Sie-mal-Test selbst noch einmal durchzuführen, und wie eine alte Tante kurz vor dem nächsten Taschengeld fragten alle immer besorgt, ob ich denn noch genug Morphin hätte oder sie mir noch etwas zustecken sollten (aber nicht alles auf einmal nehmen!). 9/10

Ambiente: Die Orthopädie Heidelberg besticht durch ihre idyllische Hanglage und astreine Schwarzwaldklinikromantik (was ich jetzt verifizieren könnte, wenn ich nicht zu faul wäre “Schwarzwaldklinik” zu googeln). Aus dem Fenster des geräumigen Dreibettzimmers schaut man auf saftig grüne Wälder und ein großer durchgehender Balkon lüde zum Verweilen ein, wenn a) mein Rücken kein dreckiger Bastard wäre und es b) nicht Ende April 3°C und Schneeregen gehabt hätte. Das historische Treppenhaus hat entlang der Stufen eine steinerne Notrutsche (<– arschcool) mit der grausamsten Plakettenaufschrift, die ich je lesen musste: “Benutzung der Rutsche verboten.” Die Physiotherapeutin beruhigte mich und versicherte mir, dass sich die meisten Kinder daran nicht halten. 9.5/10

Quelle: http://blogs.faz.net/planckton/files/2013/07/1.jpg

Essen: Die Vepflegung im Klinikum wird von der Firma “Apetito” geliefert, einem Unternehmen mit Sitz in der Gourmethauptstadt Rheine. Dort werden junge Köche auf der Straße eingefangen, gechippt und so lange mit brauner Soße zwangsernährt, bis der Lebenswille in ihren Augen erlischt. Wenn sie nachweislich keine Gefühlsregung bzw. körperliche Symptome wie Ausschlag zeigen, wenn man ihnen Videos von träumenden Hundewelpen zeigt, werden sie in die Abteilung “Menüdesign” befördert.

Wenn der Patient in die 20 Minuten durchgekochten Gallertstreifen mit angedickter Hamburgersoße und Röstzwiebeln (“Käsespätzle”) beißt, überfällt ihn das Gefühl tiefer Traurigkeit und Verzweiflung. Auch mit der hastig nachgeschobenen, in Essig und Hass getränkten Rotkrautbeilage lässt sich dieser Geschmack nicht mehr aus dem Gedächtnis tilgen. Schon der Anblick und Geruch dieses weißgelben Klumpens wecken in der Magengegend ein Gefühl irgendwo zwischen Sodbrennen und der Gewissheit, einen guten Freund enttäuscht zu haben.

Bevor das Brot fürs Frühstück und Abendessen servierfertig ist, muss es zunächst drei Tage in einem auf 2°C runtergekühlten Kartoffelkeller lagern. Ein Lichtblick ist da der “Erdbeer”-“”Joghurt”” (0,1% Fett), der laut Etikett nicht gekühlt werden muss und zu einem wesentlichen Teil aus Karottenkonzentrat besteht. Schmeckt topp.

Fazit: Die Orthopädieklinik Heidelberg ist eine gute Adresse für nutzloses Rumliegen unter Schmerzen in professioneller, freundlicher Atmosphäre. Einen Stern ziehe ich ab für das Essen, dessen Einnahme im dritten Kreis der Hölle aus Gründen der Menschlichkeit verboten wurde. Nehmen Sie sich eine Stulle mit.

Quelle: http://brandondoesdallas.com/wp-content/uploads/2015/06/stars_large_2x_4star.png

 

Spieleabend

Bei Only Connect spielen zwei Teams ein teilweise irrwitzig schweres Quiz gegeneinander. Es gibt kein Studiopublikum, keine Showeffekte, ja, nicht einmal einen Preis. Es ist die beste Show, die ich je gesehen habe.

Das “Only Connect” Logo (Quelle: wikipedia)

Der Bildschirm leuchtet in einem unangenehm generischen Blau. Ein Streichquartett spielt die uneingängige, aber liebliche Titelmelodie, während Tafeln mit ägyptischen Hieroglyphen munter durch die Gegend flitzen und im Logo der Show aufgehen. Man bekommt den Eindruck, hier habe jemand im MS Office Quiz Title Creator® eine Standardvorlage geöffnet, die Wörter “Only” und “Connect” eingefügt und dann pünktlich Mittagspause gemacht. Schnitt zu einem spärlich beleuchteten Studio, das offensichtlich in einem geheimen Keller in Cardiff eingerichtet wurde. Man sieht förmlich, wie hinter der Kamera immer wieder einmal ein BBC-Mitarbeiter auf der Suche nach dem Kopierraum die Tür öffnet, den einatmenden “Ssss”-Laut eines unfreiwilligen Eindringlings macht und die Tür leise wieder schließt.

“Hello. Are you lost? Come in! Come into this weird little room. We’re going to play a game called Only Connect. I’m going to ask some questions and you won’t know any of the answers. But that’s ok. There are no prizes, I can’t hear you, and conciousness is finite so nothing matters anyway. Let’s meet the teams!” (Aus Staffel 9, Folge 2)

Kurze unangenehme Pause. Es ist kein Publikum da, das über den skurrilen Anfangswitz lachen könnte. Dann werden die Dreierteams vorgestellt, die so schmissige Namen wie “History Boys”, “Chessmen”, “Felinophiles” (ja, sie wurden schon öfter darauf angesprochen, dass es eigentlich Aílourophiles heißen müsste) oder “Edinburgh Scrabblers” tragen. Ihre Mitglieder sind Programmierer, Beamte, Geschichtsstudentinnen, Starmaterial eben.

Ihre Aufgabe ist es, die versteckte Verbindung zwischen maximal vier Hinweisen zu suchen. Je weniger Hinweise man braucht, desto mehr Punkte sammelt man. Lust auf eine Runde? Hier einmal eine leichte, Sie haben 40 Sekunden Zeit (Für die Lösung auf die Fußnote klicken oder den Cursor draufhalten1 ):

only connect round 1
Quelle: youtube.com

Noch ein Beispiel, diesmal aus Runde 2: Was kommt als Viertes in der Reihe?

36 – verborgen
18 – träge
10 – neu
?

Wenn Sie jetzt innerhalb von 40 Sekunden auf “2 – Sonne” gekommen sind, dann könnten Sie es vielleicht ins Staffelfinale von Only Connect schaffen 2 .

Stuart Heritage schreibt im TV- und Radioblog des Guardian über den “uneasy appeal” der Sendung, die mittlerweile ein kleiner Hit ist und von BBC 4 nach BBC 2 umgezogen ist. Die Show sei befremdlich mit ihren merkwürdigen Teilnehmern und demütigend schwierigen Aufgaben. Das wäre sie vielleicht, wäre Victoria Coren Mitchell nicht so eine brillante Moderatorin.

Stattdessen macht sie schon mit ihren im Raum verhallenden Anmoderationen klar, dass es in dieser Show nicht darum geht, dem Publikum etwas zu bieten, cool oder interessant im herkömmlichen Sinne zu sein. Überhaupt fühlt man sich als Zuschauer angenehm ignoriert. Da sitzen einfach sieben Nerds zusammen, und spielen ein kleines Spiel miteinander, in dem es um nichts geht außer um die Herausforderung und das Teilen von obskuren Wissenshäppchen, mit denen man auf keiner Cocktailparty glänzt (Coren Mitchell:”Was wissen Sie über den Gitarristen der Monkees?” Alle im Chor: “Seine Mutter hat Tipp-Ex erfunden!”). Abgerundet wird das ganze mit selbstironischen Bemerkungen darüber, dass das alles außerhalb des Studios niemanden wirklich interessiert.

Wenn in der zweiten Runde das letzte in einer Reihe von vier Liedern gesucht wird, schlägt Coren Mitchell auch gerne einmal vor, dass die Kandidaten es gemeinsam singen (ohne Begleitung natürlich) und in jeder anderen Sendung wäre es cringeworthy, wie der Captain der “Wayfarers” alleine mit viel Inbrunst und wenig Tongefühl “Gold” von Spandau Ballet singt. Aber das ist nicht der Grund, warum sie das vorschlägt, hier wird niemand vorgeführt. Es macht einfach Spaß zu singen, das ist alles.

Wenn die Kandidaten nicht gerade Lieder singen, die sie leidlich kennen, nuscheln sie sich gegenseitig ins Ohr, um Lösungsvorschläge und Ansätze auszutauschen. Die soll das gegnerische Team nicht hören, damit es möglichst keinen Bonuspunkt abstaubt, wenn man selbst die falsche Antwort gegeben hat. Der Zuschauer versteht von dem Gemurmel genauso wenig. Tja.

Wenn die Kandidaten mal eine halbrichtige Antwort geben, gibt Coren Mitchell auch gerne einmal Hilfestellung und hat einiges an Freiraum, was die Vergabe der Punkte angeht. Auch das funktioniert wegen der sportlichen und freundlichen Atmosphäre, die in und zwischen den Teams herrscht, nach dem “OUTBURST!”-Motto: Es ist nur ein Spiel, gib im Zweifel den Punkt.

Das Streichquartett markiert mit dem üblichen Thema das Ende des zehnten Staffelfinales, wie am Ende jeder Folge. Nach vier Runden “excellent quizzing” (Coren Mitchell) werden die “Orienteers” zum Champion ernannt, was ihnen ein amüsiertes Schmunzeln entlockt, und das gegnerische Team applaudiert freundlich. Die Vergabe der hässlichen Glastrophäe regeln Coren Mitchell und die Sieger dann später im Hintergrund, während schon der Abspann läuft. Ist auch nicht so wichtig.


  1. ABBA-Songs. Easy. 

  2. Die Zahlen repräsentieren natürlich die Ordnungszahlen der ersten vier Edelgase in der Periodentabelle in absteigender Reihenfolge und die Wörter geben an, was der jeweilige Elementname bedeutet, z.B. Krypton von κρυπτός = verborgen. Ja, das wurde erraten. 

Soll/Ist

Ein 600-Wörter-Text darüber, warum ich einen Witz nicht lustig finde. Deutscher geht’s nicht.

Jan Böhmermann veröffentlicht ein Video und ich finde es nicht so toll, die Welt steht Kopf. Dabei freue ich mich über so ziemlich alles, was Neo Royal produziert, selbst wenn es mir selbst mal nicht gefällt, allein schon deswegen, weil es eins der raren Programme ist, die sich nicht schon im Vorfeld zurechtstutzen, um dem dümmsten anzunehmenden Zuschauer nicht auf die Füße zu treten.

Das führt dazu, dass Witze auch mal nicht verstanden werden, wie im Fall von “Ich hab Polizei”. Kritisiert wurde an dem Video unter anderem, dass der Song wahrscheinlich auf jeder Revierweihnachtsfeier gelaufen ist, weil die Kritik an der Polizei zu unterschwellig gewesen sei 1. Und diesmal bin ich wohl dran: Ich verstehe den Witz nicht. Weil ich nicht verstehe, an wen er sich richtet.

Aber hey, man soll Kritik ja immer mit positivem Feedback sandwichen, also zunächst mal die schönen Anteile: Jan Böhmermann trägt topp Klamotten, kann den Lindemann genauso gut tanzen wie den Hafti, und macht überhaupt vieles richtig. Auch Rammstein als das Aushängeschild der Klischeedeutschen im Ausland zu verwenden, um dann von müslifressenden Fahrradhelmträgern zu grummeln, alles wunderbar.

Bis hierhin könnte man auch meinen, der Song sei gerade an diese Müslifresser gerichtet. Ein Hymne für die Gutmenschen, Islamversteher und Mülltrenner dieses Landes, was wäre das schön gewesen. Und dann geht das alles etwa bei Minute 2 vor die Hunde. Denn anscheinend ist das Video nicht nur an Menschen in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern wie den USA oder der Türkei gerichtet.

Aus der Videobeschreibung:

The world is going completely nuts! Europe feels threatened by 0.3% refugees, the USA are about to elect a man, of who no one really knows who is pulling the strings under the toupee and just as if that was not bad enough, Germany of all nations has to disabuse the world of how to behave morally right. I mean GERMANY! They did not even win one single world war in history!

Pffff. Haha, ja, echt ein bisschen dumm, oder? Die Welt kann also von Deutschland gerade so richtig was lernen, wie man topp mit Flüchtlingen umgeht 2, wen man zu wählen hat (You have an election to vote for the best / But we see it more like an IQ test)3, und wie man friedlich und sozial miteinander umgeht.

Das ist auf so eine unsympathische Art selbstherrlich und herablassend, dass aus der Parole “We are proud of not being proud” mit einem lustlosen Furzen die Luft entweicht und am Ende doch wieder ein sehr unqualifiziertes “We are proud” übrig bleibt. Da darf dann natürlich auch Kant (DEUTSCH-enlightened) nicht fehlen. Das Video hätte ein Bild zeichnen können von Deutschland, wie es sein will und kann, stattdessen verwechselt es Soll- und Ist-Zustand 4 und übrig bleibt ein großer Circle Jerk über “wir gegen die”, also PEGIDA, Trump, Erdogan, haha, die ganzen Idioten halt, den wir uns gegenseitig in die Chronik posten können. Schade eigentlich, hatte doch so gut angefangen.

Was noch? Ach ja, zum Sandwich fehlt noch die zweite Lobschnitte. Wieder von Youtube zitiert, diesmal aus den Kommentaren:

Wenn dieser Möchtegern-Rapper selber den Umbruch in der ehemaligen DDR miterlebt hätte, würde er sich in Grund und Boden schämen für sein kleines billig gestricktes Machwerk. Große Teile des Volkes haben bei den letzten Wahlen gesprochen und sich klar von Merkels linksradikaler Politik abgewendet. Das sollte man tolerieren und berücksichtigen, genauso wie toleriert werden sollte, wenn integrationswillige und wahrhaft Schutzsuchende Asyl in Deutschland beantragen.

Man kann von Neo Royal ja halten, was man will, aber sie ärgern immer auch die richtigen.


  1. Um mal ein paar Beispiele für anscheinend nicht ausreichend holzhammerige Kritik zu nennen:
    – “Ich own Polizei, denn ich zahl Höchststeuersatz”
    – “Denn ich hab Polizei, beste Schlägertruppe”
    – “Und wenn du dich beschwerst, glaubt jeder Polizei”  

  2. Dazu empfehle ich mal “Asylpaket 2” zu googeln. 

  3. Vor drei Wochen ist die AfD in drei Landtage eingezogen und Böhmermann sang “Springtime for Hitler” nach. 

  4. ACH DESHALB DIE ÜBERSCHRIFT!