Herzscheiße

Ein Früher-war-alles-besser-Text über Facebook. Sorry. Außerdem spekuliere ich über psychologische Sachverhalte, die meines Wissens noch niemand getestet hat. Auch nicht die feine Art. Lieben Dank an Hannah für die Anregung.

Vor ein paar Jahren ist in der deutschen Sprache das “Liken” aufgetaucht, denn anscheinend bestand Bedarf dafür. Das sperrige “Gefällt mir” hat sich einfach nicht durchgesetzt und lässt sich auch nicht so einfach in ein Substantiv umbauen wie das Like, über das man wie eine Währung sprechen kann, wenn man seine Grindcoreband bei Bookingagenturen anpreist. Aber auch die Tätigkeit etwas zu liken ist vielschichtiger und kontextabhängiger als einfach sein Gefallen auszudrücken: Es kann bedeuten “Ich mag dich”, “Schaut euch das einmal an”, “Ich stimme dir zu”, oder auch “Ich fühle mit dir, furchtbar, was du da schreibst”. Ich selbst scrolle mich an besonders denkwürdigen Tagen auch mal durch die Kommentarspalten von “FOCUS Online”, um den einsamen Wölfen, die gegen den ganzen Irrsinn dort anschreiben, per Like auf die Schulter zu klopfen.

Es dürfte etwa Tag 1 nach dem Facebook-Launch gewesen sein, als der erste User irgendetwas las, was ihn aufregte, und kommentierte: “Where’s the dislike button >:O”

So nahm das ganze Elend seinen Lauf.
Und keine Angst, das wird jetzt nicht der hundertelfzigste Beitrag darüber, wie Facebook und andere soziale Medien das Meinungsspektrum einschränken, dem wir ausgesetzt sind, und Konformität fördern. Es geht mir viel grundsätzlicher um eine Einstellung, die entsteht, wenn ein Service- und Spaßunternehmen zum Informationsmedium gemacht wird.

Wäre Facebook ein Supermarkt, wäre der Like-Button die “We value your opinion”-Kiste neben den Recyclingtonnen am Ausgang, nur besser: Denn was mir gefällt und was nicht, spielt hier wirklich eine Rolle. Facebook macht mir ständig klar, dass es gerne wissen möchte, ob ich mit meiner Experience zufrieden bin, und passt sie meinen Bedürfnissen und Vorlieben an, denn nur glückliche Kunden sind gute Kunden.

Wir können je nach Scrollgeschwindigkeit wahrscheinlich etwa 20 mal pro Minute unseren Likedaumen heben, sodass sich irgendwann mehrere gefährliche Gedanken einschleichen:
1.) Meine Meinung, zu was auch immer, ist jederzeit gefragt und wichtig.
2.) “Gefällt mir” und “Gefällt mir nicht” sind relevante Kategorien, in die ich Erlebnisse in meinem Leben einordnen sollte.
3.) Ich habe ein Recht darauf, dass mir das, was ich sehe, gefällt.

Diese Ideen sind schon bescheuert genug, wenn es um die “Freundin springt mit ausgestreckten Armen am Strand”-Fotos geht, aber bei Nachrichten und Debattenbeiträgen wird diese Einstellung irrwitzig. Eine Kundenmentalität, bei der mein Gefühl und Gefallen die entscheidenden Kriterien sind, kann ich im Restaurant und im Supermarkt an den Tag legen. In allen anderen Situationen ist das einfach kindisch. Ein mündiger Mensch zu sein, bedeutet eben auch zu verstehen, dass es nicht das Wichtigste ist, ob mir etwas gefällt oder nicht, oder wie sich etwas für mich anfühlt.

Das erste Symptom dieser Egomanie ist dann die Forderung nach dem “Dislike”-Button. Wir wollen nicht nur unsere Empörung/Trauer/Wut ausdrücken, sondern wir können uns nicht einmal eine Minute für einen Kommentar nehmen, denn einerseits wird unsere Meinung ja noch unter 122 anderen Posts benötigt und andererseits müsste man in Worte fassen, wie man neben einem Bauchgefühl eigentlich zu etwas steht. Unzumutbar.

Auch die Flut von unqualifizierten Kommentaren unter den oben genannten FOCUS- und anderen Posts lässt sich in meinen Augen teilweise auf diese Mentalität zurückführen. Viele Reaktionen lesen sich wie Selbstgespräche über das, was gerade (teilweise) gelesen wurde, plus irgendwas mit Emotionen.

Und dann kamen die Smilies.

via biru.soup.io

Beim Liken ist teilweise noch eine Abwägung nötig: Ist ein Like eine angemessene Reaktion auf einen Nachruf? Möchte ich die Sichtbarkeit dieses Beitrags erhöhen? Sofern ich nicht mehr oder weniger genau “Das gefällt mir” sagen will, gibt es eine inhaltliche Distanz zwischen dem Gefühl und der Reaktion, und kontextabhängig entscheide ich, ob das Like passt oder nicht.

Die Grinseköpfe machen den Facebookbesuch jetzt noch ein wenig egozentrischer, als der Dislike-Button es gekonnt hätte (so glücklich ich auch bin, dass es diesen Button nicht gibt). Die Leute sind anscheinend nicht nur daran interessiert, was mir gefällt, nein: Sie wollen es ganz genau wissen. Input, Reaktion, nächster. Meine Meinung zählt, und der Kunde ist König. Genau aus dieser Haltung heraus wird dann wohl die nächste Welle von Forderungen entstehen: “Where’s the I don’t care button, dude :|”

Offenlegung: Der Autor benutzt Facebook und freut sich, wenn unter einem seiner Beiträge jemand auf das Herzchen geklickt hat. Er selbst hat auch schon einmal auf das Herzchen geklickt und das war eigentlich ganz schön, bei Babyfotos und so.

 

Weiber!

Die paar Leute, die mein Blog lesen, lassen sich wohl komfortabel in einer übersichtlichen politischen Schublade verstauen, in der es nicht gerade chic ist, sich über die angeblich angeborenen, im Sinne von evolutionär geformten, Unterschiede von Männern und Frauen auszulassen. So weit, so angenehm, man muss ja auch nicht über jeden Scheiß unterschiedliche Meinungen haben. Um genau so einen Unterschied soll es heute aber gehen, und ich denke, dass ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehne, wenn ich behaupte: Etwa 99,8% aller Männer wissen nicht, wie es sich anfühlt, seine Tage zu haben. Schön für uns. Und gleichzeitig wohl die Quelle für eine der verquersten Spielarten der Frauenfeindlichkeit, die ich kenne.

Aus irgendeinem Grund habe ich in den letzten Tagen wieder gehäuft Leute sagen hören “XY [habe] seine/ihre Tage”, und wer diese Formulierung im nicht wörtlichen Sinne benutzt, muss bitte sofort damit aufhören, um kein Vollarschloch oder zumindest nicht wie Donald Trump zu sein. “Aber Dennis”, wirft Stuart S. Trohmann nun ein,”das heißt doch nur, dass man schlechte Laune hat, die der Situation zugeschrieben wird, obwohl sie andere Gründe hat. Nix Frauenfeindliches dabei.” Danke für diesen Hinweis, Stuart, aber das ist natürlich Quatsch, wie sofort klar wird, wenn man “XY hat seine/ihre Tage” versucht mit einer anderen Launeverderberei auszutauschen:

“Ich heute so zu Hortensia ‘Was geht heute Abend bei dir so, Schatz’ und sie so ‘Verpiss dich, ich bin nicht dein Schatz.’ Hat die ne Grippe oder was ist ihr Problem?”

Oder:
“Ey Gangolf, alter Freund und Kupferstecher, heute darfst du keine Witze über das Aussehen von Gerulfs Mutter machen, der musste heute zwei Stunden im T-Shirt durch den Regen laufen, haha!”

Oder auch:
“Hey Sigrun, scheidest du gerade unter Krämpfen die blutige Schleimhaut deiner Gebärmutter aus oder wieso bist du so eine Bitch heute?”

“XY hat ihre/seine Tage” heißt: Er oder sie ist gereizt, und hat keinen legitimen Grund dazu sondern ist halt einfach ne Frau. Frauen, diese rätselhaften und unberechenbaren Wesen, sind aus geheimen Frauengründen nicht so gut gelaunt wie sonst und wir Männer müssen es ausbaden. Wie kommt’s? Eisenmangel? Die Hormone?

Hier mal eine Alternativerklärung:
“Tuuut Tuuut Tuuut hmja hallo?”
“Hallo Doktor Freudenberg, tut mir leid, dass ich Sie so spät noch störe.”
“Es ist vier Uhr morgens.”
“Ist ein Notfall.”
“Woher haben Sie meine private Nummer?”
“Es ist was sehr, äh, Privates und ich habe große Angst.”
“Wer sind Sie überhaupt?”
“Ich habe gerade Blut in meiner Unterhose gefunden. Also meins.”
“Mhm. Und woher kommt das?”
“Deswegen rufe ich ja an. Muss ich sterben?”
“Nein, ich meine, was blutet denn?”
“…”
“…”
Mein Penis.
“Was?”
“MEIN PENIS VERFICKT NOCHMAL! ICH BLUTE AUS MEINEM PENIS OH MEIN GOTT! UND DIESE BAUCHSCHMERZEN UND KRÄMPFE! UND OH GOTT ICH BLUTE AUS MEINEM PENIS!”
“Ja, das geht allen so. In fünf bis sechs Tagen sollte das vorbei sein.”
“Was? Einfach so? Und dann ist das erledigt?”
“Ja, dann haben Sie drei Wochen Ruhe.”
“OH MEIN GOTT WAS PASSIERT IN DREI WOCHEN?!”
“Dasselbe nochmal. Das, was sie gerade abstoßen, wächst…”
“WAS ICH GERADE ABSTOSSE?!”
“Also, das, was Ihr Körper gerade abstößt, wächst immer wieder nach, und nach drei Wochen stößt er es wieder ab.”
“Sie verarschen mich.”
“Nein.”
“Und wie oft geht das jetzt so?”
“So dreißig, vierzig Jahre, bis Sie unfruchtbar sind.”
“Ich glaube, ich muss brechen.”
“Ja, das geht vielen so.”
“Pfffff. Und was soll ich jetzt tun?”
“Sie können sich was in die Unterhose legen, dann bluten sie nicht auf ihre Klamotten.”
“Woher haben Sie nochmal ihre Approbation?”
“Gute Nacht.”
“Gute Nacht, Frau Freudenberg.”

Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich will nicht sagen, dass Menstruation eine Krankheit ist oder so, ich finde nur, sie ist ein absolut einwandfreier Grund für schlechte Laune. Das macht sie zu einer schlechten Beleidigung für Leute und vor allem Frauen, denen wir keine Empathie entgegenbringen oder die Rationalität aberkennen wollen. Einen Vorschlag für eine zu diesem Zweck passendere Redewendung habe ich nicht, aber es ist ja auch nicht immer schlecht, mal etwas ersatzlos zu streichen.

Wer es schwer hat (1): Das Arschloch.

In dieser Rubrik widme ich mich denjenigen, denen übel mitgespielt wird. Sie werden benachteiligt und verachtet, entweder über Gebühr oder aus den falschen Gründen. Ein Aufruf zu Solidarität und Selbstkritik.

Nicht zuletzt wegen groß angelegter Imagekampagnen der Milchprodukteindustrie und charmanter Sachbuchautorinnen genießt der Darm mittlerweile ein mehr oder minder hohes Ansehen, während sein kleiner Sidekick, das Arschloch, in der öffentlichen Meinung nicht schlechter dastehen könnte. Sein Außenseiterstatus ist so gefestigt, dass es die meisten Deutschen gar als Beleidigung auffassen, wenn man sie als Arschloch bezeichnet.

Arschlöcher sind ein Paradebeispiel für falsche kausale Attribution: Man beobachtet, dass das Aufkommen von Arschlöchern und Kot positiv korreliert und kommt zu dem Schluss, die Arschlöcher seien für die ganze Scheiße verantwortlich, ja, würden sie sogar produzieren. Das ist der Dank dafür, dass Arschlöcher im Durchschnitt 23 Stunden und 40 Minuten am Tag dafür sorgen, dass Scheiße da bleibt, wo sie ist. Noch wichtiger ist aber ihre kontrollierte Entsorgung: Scheiße, die nicht rauskommt, vergiftet auf Dauer den Organismus und bahnt sich unter Umständen andere Wege.1 Manchmal muss eben raus, was raus muss.

Das Arschloch ist Teil der menschlichen Natur. Es in den Griff zu kriegen und nutzbar zu machen war Freuds Meinung nach eine der zentralen Entwicklungsaufgaben unserer Kindheit, die zivilisiertes Zusammenleben erst ermöglicht. Anstatt also Arschlöcher an sich zu verunglimpfen, wäre eine Unterscheidung zwischen funktionalen und dysfunktionalen Arschlöchern angebracht: Erstere sorgen dafür, dass Scheiße dort abgeladen wird, wo sie hingehört, und das sehr selektiv und gezielt, und erfüllen damit eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, während letztere die ihnen zur Verwahrung anvertraute Scheiße ungehemmt in der Landschaft verspritzen.

Folglich sollte man den Kontakt mit schlecht erzogenen Arschlöchern natürlich möglichst meiden, der eigenen Reinlichkeit und Nase zuliebe. Eine Toilettenerziehung nachzuholen, die im Elternhaus versäumt wurde, ist mühsam und mit vielen Strapazen verbunden. Zur frühzeitigen Erkennung habe ich eine kurzes Screening-Verfahren entwickelt, das ich hiermit kostenlos zur nichtkommerziellen Nutzung freigeben möchte. Sollte jemand eins oder mehrere der angegebenen Kriterien erfüllen, sollte man sich schnellstmöglich von ihm entfernen, bevor man seine Klamotten wechseln muss. Dem Testenden steht es natürlich frei, der betreffenden Person die Checkliste samt Eintragungen als eine Art strukturiertes Feedback zu überlassen, bevor der Kontakt abgebrochen wird.

SEAT-K
Bild anklicken für druckerfreundliche PDF-Version

Ich wünsche gutes Gelingen und freue mich über Erfahrungsberichte.

Update: Kommentare sind jetzt gesperrt, weil irgendwelche Spambots auf diese Seite aufmerksam wurden.


  1. Diesen Link bitte nicht anklicken. 

Helden der Untätigkeit

Quelltext: gta.wikia.com

Achtung: Spoiler für Far Cry 4 im Text. Das ist zwar bereits über ein Jahr alt, aber es gibt ja auch Leute, die einen entsetzt anschauen, wenn man in einer Unterhaltung gewisse Details von “Psycho” erwähnt (“Den wollte ich am Wochenende gucken!” Mhm, klar).

Easter Eggs in Videospielen machen mich sehr glücklich. Vermutlich habe ich mehr Zeit damit verbracht mir Videos von Ostereisammlern auf Youtube anzuschauen als mit Videospielen selbst, und das selbst dann, wenn ich die mehreren Tage (netto) auf der Rampe mit einberechne.

Wie bei echten Ostereiern auch, liegt der Reiz meistens nicht wirklich in dem, was gefunden wird 1, sondern der Spaß kommt vom Verstecken, Suchen und Finden selbst. Was die digitalen allerdings von den analogen Eiern unterscheidet, ist, dass man in der Regel gar nicht weiß, was man sucht, bis man es gefunden hat. Ob man nun zufällig im hintersten Winkel eines Levels eine Münze findet und – aus welchem Grund auch immer – auf diese schießt, oder einer Reihe unanständig elaborierter Hinweise folgt, man kann vorher nie wissen, was einen erwartet, oder wo man überhaupt suchen soll.

Manche Easter Eggs bekommen dadurch eine philosophische Dimension2. Sie laden zu einem Spiel im Spiel ein: etwas zu tun, das der internen Logik des Spiels widerspricht, ohne dass es dadurch irgendwie “vorwärts” ginge, also eine Weile im Leerlauf zu verbringen. Der “Payoff” ist manchmal lustig, manchmal bedrückend oder bizarr, aber nie nützlich. Manche Eier verlangen nahezu fanatisches Durchhaltevermögen, andere verspieltes Herumprobieren, wieder andere, dass man zur richtigen Zeit die richtigen Fehler macht, kurz: ein Easter Egg spiegelt auch die Lebenseinstellung seines Versteckers wieder, ist aber immer eine Absage an fokussierte Zielverfolgung und Linearität.

Das bringt mich zu meinem persönlichen Lieblingsei und nun auch endlich, davor sei noch einmal gewarnt, zum “Far Cry 4” Spoiler:

Ajay Ghale ist in das Land seiner Geburt zurückgekehrt, aus dem seine Mutter mit ihm vor vielen Jahren geflohen war. Er will ihre Asche in ihrem Heimatort verstreuen. Das Land befindet sich im Bürgerkrieg zwischen Rebellen und dem charmanten, wenn auch psychopathischen und blutrünstigen Diktator Pagan Min, der den Helden gleich bei seiner Ankunft aufgreift und als Gast bewirtet. Das eigentliche Spiel beginnt, wenn Min Ajay bittet, kurz auf ihn zu warten, während er einen “Terroristen verhört”. Natürlich wartet man nicht, sondern macht die üblen Kerle im Verlies ausfindig und dann nimmt die ganze Ballerei ihren Lauf.

Ooooder man wartet eben doch und tut das Unsägliche, das, was kein Politiker, kein Arzt und kein Elternteil je offen tun durfte: Nichts. Einfach mal abwarten. 13 Minuten später ist Min wieder da und hält sein Versprechen Ajay ins Heimatdorf seiner Mutter zu begleiten. Auf dem “offiziellen” Weg zu diesem Ende lassen geschätzte tausend Menschen ihr Leben.

“Wir können doch nicht tatenlos zusehen, wie [Schweinerei xy geschieht]” ist eine Formel, die schon fast selbsterklärend und notwendig richtig klingt, und wir haben im Alltag eine Unmenge an Systemen von Rechenschaft und Kontrolle geschaffen, die diese Philosophie verstärken. Welches Problem auch immer auftreten mag, wichtig ist zunächst einmal nicht, was getan wird, sondern dass etwas getan wird. Man stelle sich einmal vor, der Wirtschaftsminister eines Landes würde in einer Konjunkturflaute verkünden, dass er und seine Kollegen daran nichts ändern könnten, entsprechend tatsächlich nichts tun und am Ende der Flaute auch noch behaupten, das habe an seiner Passivität gelegen. Undenkbar? Wieso?

So gerne ich mich mit Anhängern der Homöopathie streite, ob sie wirksam ist oder nicht3, genau darin liegt für mich ihr Wert: In einer Zeit des naiven Interventionismus4 einfach mal vom Arzt verordnet nichts zu tun. Die Gefahr der Homöopathie liegt natürlich bei Krankheiten, die eine schnelle und beherzt eingreifende Therapie benötigen, die dann verschleppt wird, teilweise, bis es zu spät ist. Fest steht aber auch: Mit vielen, vielen Beschwerden kommt der Körper sehr gut alleine klar, und je weniger man tut, desto besser. Lecker Kügelchen dazu? Klar, warum nicht. Nur den Zirkel aus “Hauptsache was tun” und “Hurra, es hat geklappt” durchbricht man dadurch leider nicht.

Nichts zu tun ist schwierig und muss mühsam erlernt werden, meiner Einschätzung nach aus zwei Gründen:
Zum einen bewerten wir das Risiko des Nichtstuns deutlich höher als das des Tuns. Ein Hahn, der jeden Morgen pünktlich vor Sonnenaufgang auf dem Misthaufen steht, kommt zu dem Schluss, dass die Sonne nur aufgeht, weil er morgens kräht. Sollte es dieser Hahn wirklich riskieren, diese Hypothese experimentell zu testen? Die Folgen könnten verheerend sein und er wäre Schuld an dem Schlamassel. Ein verantwortungsvoller Hahn darf so etwas natürlich nicht zulassen.
Zum anderen birgt das Nichtstun aber auch das Risiko einer tiefen narzisstischen Kränkung. Was ist, wenn die Sonne tatsächlich ohne den Hahn aufgeht? Hätten die Hennen noch Respekt vor ihm, wenn sich herausstellen sollte, dass er im großen Lauf der Dinge keine so zentrale Rolle spielt, wie er dachte?

Und so krähen und intervenieren wir alle auf Hochtouren weiter und wundern uns, dass trotzdem so vieles daneben geht, anstatt zu fragen, ob das Gekrähe vielleicht Teil des Problems ist. Gut, wenn wir davon kurz abgehalten werden und erkennen, wie schön und gut es sein kann nichts zu tun.

Anstelle eines kreisschließenden Eierwitzes möchte ich Georg Kreisler das letzte Wort überlassen und mich selbst zurücklehnen:


Kommentaranregung: Fällt Ihnen vielleicht ein Beispiel ein, wo es voll gut war, was zu machen anstatt nichts zu tun? Das klingt wie der Start einer fruchtbaren Diskussion, die dem Punkt des Texts total gerecht wird. Auf auf!


  1. Eine repräsentative Umfrage unter den zwei Personen, die gerade in der Nähe waren, ergab, dass über fünfzig Prozent der Deutschen hartgekochte Eier mit Lebensmittelfarbflecken “erträglich” bis “irgendwie bäh” finden 

  2. Nee, wirklich. 

  3. Ist sie nicht. 

  4. Herzliche Leseempfehlung dazu: Nassim Talebs “Antifragile” 

Schweinepflicht

“An Berliner Schulen Salamiverbot
Auf den Pausenhöfen gilt Haramstufe Rot!”
K.I.Z.

Liebe Muslime in Deutschland,

ich bin mal so frei euch alle zu duzen (euchzen?) und, jetzt wo wir uns kennen, eine wilde Hypothese rauszuhauen: Eines Tages wird es in Deutschland mehr oder weniger akzeptiert sein, dass jemand Muslim ist. Das sage ich als jemand, der diesen Prozess selbst durchgemacht hat, vor fünfzehn Jahren bin ich nämlich zum Vegetarismus konvertiert.1

Damals wurde ich natürlich gleich in einen, haha, Topf geworfen mit diversen Gruppen, die bis heute teils gewaltsam, teils einfach nur gehirnamputiert für ihre Ideale kämpfen.2

Entsprechend war dann auch erste Vegetarierpflicht bei Tisch, wenn man besorgt auf den Fleischmangel im eigenen Gericht hingewiesen wurde, brav seinen Spruch aufzusagen, dass man, ja, Vegetarier sei, aber natürlich nicht militant, und überhaupt ja jeder essen dürfe, was er wolle, und man aber ganz klar jederzeit zur Stelle sei, um dieses unveräußerliche Recht eines jeden Deutschen vor den Vegeterroristen zu verteidigen, notfalls mit Gewalt. Dann wurde zufrieden geschnauft und genickt. Gefolgt von einem halbstündigen Vortrag, welche Form und Art von Vegetarismus der Gesprächspartner natürlich dulde, könne ja jeder machen, was er will, also zu Hause, und welche nicht, nämlich Veganer. Die würden sich ja sogar bei Fleischbrühe schon anstellen und einen ständig übers Essen volllabern.

„Der abstruse Vorschlag von Frau Künast ist ein weiterer Baustein für die grüne Bundes-Verbots-Republik: Jetzt wollen uns Trittin, Roth & Co. auch noch vorschreiben, was wir wann essen dürfen. Die CDU lehnt diese Bevormundungspolitik entschieden ab.“

Hermann Gröhe über den Veggie Day

Überhaupt war das Bild des Vegetariers in der Öffentlichkeit kein positives: Zauselige Gammler, die in der Fußgängerzone Prospekte verteilen, frauenverachtende Arschlöcher, die anderen Leuten vorschreiben wollen, was sie anziehen dürfen und was nicht und auch noch ihre Kinder gleich mit indoktrinieren!3 Selbst zu Schulhofbeleidigungen (“Schweinefresser!”) soll es gekommen sein! 

Aber heute haben sich alle wieder eingekriegt, Vegetarier zu sein ist etwa so provokant wie ein Tattoo auf dem Schulterblatt und auch die letzte Kaschemme im Odenwald bietet heute einen Mikrowellenbratling aus Erbsen und Möhren an, mit einer Kartoffelpüreebeilage, aus der sogar extra fast alle Speckwürfel rausgepult wurden. Der Vegetarismus gehört zu Deutschland. Selbst über Veganer4 musste ich mich seit fast zwei Monaten nicht mehr unterhalten!

أنا أكل الزهور
(
الأطباء)

Diese rasante Entwicklung hat natürlich vor allem funktioniert, weil Vegetarier heute häufig aus einer Schicht kommen, die kaufkräftig, respektiert und deutsch 5 ist. Wenn also alles glatt läuft, liebe Muslime, könnten schon eure Ururenkel in Waldmichelbach von der Halal-Karte bestellen, und die meisten am Tisch würden einfach ihre Schnauze halten.

Kommentaranregung: Ist dieser Text nicht ganz schön undifferenziert und blöd? Ein gepfefferter Kommentar, warum man Vegetarismus und den Islam eigentlich überhaupt nicht vergleichen kann, gerne auch länger als der eigentliche Beitrag, sollte mich da wieder in die Spur bringen. Oder kennt ihr vielleicht einen Veganer oder Muslim, der wirklich voll blöd ist? Das wäre doch ein sinnvoller und interessanter Beitrag, lasst hören!


  1. Nur damit wir uns hier richtig verstehen: Ich möchte damit sagen, dass die Situation der Vegetarier vor 15 Jahren und die der Muslime heute in Deutschland zu 100% vergleichbar sind. Außerdem werden nur Muslime in Deutschland diskriminiert und es gibt kein wichtigeres Thema auf der ganzen Welt. 

  2. Nur noch einmal, damit das wirklich nicht in Hälsen landet, für die es nicht bestimmt war: Islamistische Terroristen und Tierrechtler sind genau dasselbe. 

  3. Gegen Pelz sein = Vollverschleierung von Minderjährigen 

  4. Veganer = ISIS  

  5. Jetzt nicht im Sinne von “in Deutschland geboren”, sondern im Sinne von “Opa war drei Jahre in Russland”. Jedenfalls mit hellen Haaren. 

Durchgehend geöffnet

Huhu,

ich habe mir jetzt ein eigenes Blog gepachtet, in das ich reinschreiben darf, was ich will (Kapitalismus!). Muss ja keiner lesen. Wird auch keiner lesen.

Falls du, liebes Kind der Generation Zukunft, immer top vernetzt und smartbephont die nächste Trendwelle reitend, dich hier trotzdem hin verirrt haben solltest, hoffe ich, du bleibst ein bisschen hier, machst es dir gemütlich (hey! Füße vom Tisch! Geht’s?) und schreibst auf die Serviette, falls du etwas Nettes zu sagen hast. Keine Schweinereien, keine Beleidigungen, das ist hier ein Familienrestaurant.

Um einerseits eine potentielle Leserschaft nicht schon am Anfang mit belanglosem Mist zu vergraulen, und mich andererseits nicht gleich wieder selbst auszubremsen, habe ich mich – und da gehe ich buzzwordmäßig voll mit der Zeit, wie ich meine – für ein Hybridmodell entschieden: Zunächst wird hier mal alles abgeladen, was mir so einfällt, und die Sachen, die ich wirklich lesenswert finde, teile ich bei Facebook und anderen Quatschportalen. Wer dann schonmal da ist und noch nicht genug hat, kann ja einfach gucken, was ihm sonst so gefällt. Nach und nach entwickelt sich dann hoffentlich so etwas wie ein Konzept oder eine thematische Richtung. Oder auch nicht. Mir eigentlich auch egal (s. erster Absatz).

Guten!


Kommentarangregung: Ich bin des Weiteren sehr gespannt zu sehen, wie viele lahme küchen- und restaurantbezogene Wortspiele mir noch einfallen und freue mich über sachdienliche Hinweise. Auch über den Rand im modischen Altrosa dürfen gerne Komplimente gemacht werden. Wenn sich hier jemand mit WordPress bzw. PHP auskennt, bin ich auch dankbar für einen Hinweis.